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Das warme Wasser floss langsam in die Wanne. Sie hatte schon lange kein richtiges Bad mehr genommen. Dafür war nie Zeit gewesen. Der ganze Trubel und die Arbeit ließen es einfach nicht zu. Doch heute nahm sie sich einfach genau diese Zeit. Sollte die Familie warten und der Chef toben.
Das Wasser duftete herrlich. „Sommerblüte“ stand auf der Verpackung. Der Geruch von exotischen Früchten und Blumen stieg ihr in die Nase. Der Wasserspiegel stieg stetig an in ihrer kleinen Wanne. Vorsichtig rührte sie das Wasser mit der Hand um. im Nu bildete sich mehr und mehr Schaum auf der Oberfläche. Sie drehte den Wasserhahn noch ein wenig, damit es wärmer wurde. Der Spiegel zeigte ihr die raue Realität. Augenränder und spröde Haare blickten sie ernst an. Sie konnte es nie ganz glauben, dass es sie war, die dieses Spiegelbild hinterließ. Langsam begann sie sich auszuziehen. Alles flog in hohem Bogen in eine Ecke. Bald müsste sie sich eine neue Jeans kaufen. Diese war schon fast durchgelaufen. Als sie das Shirt abstreifte kratze es am Arm. Auch den BH hatte sie schon solange sie einen brauchte. In den letzten Jahren hatte sie stark abgenommen und füllte noch nicht mal mehr richtig aus. Ein ihrer Zehen schnupperte Frischluft. Die Socken wanderten gleich in den Müll. Bereits vor ein paar Monaten hatte sie begonnen die wirklich kaputten Sachen wegzuwerfen. Danach war ihr Kleiderschrank halb leer gewesen. Wenn der nächste Gehaltsscheck kam musste sie dringend einkaufen gehen. Zuletzt streifte sie schnell den Slip hinunter und ging zurück zur Wanne.
Die Wanne war bereits mehr als halbvoll. Vorsichtig hob sie den Fuß und berührte mit dem großen Zeh das Wasser. Es war angenehm warm. Langsam tauchte sie ihren Fuß in das Wasser. Kaum stand sie mit dem ersten Beim in der Wanne zog sie das zweite hinterher. Als Kinder haben sie sich immer in die Wanne fallen lassen. Ihr Vater hatte dann wie wild geschimpft, weil das ganze Bad nass war und die Wanne wieder leer. Doch heute machte sie das nicht mehr. Langsam setzte sie ich in das Wasser. Je tiefer sie kam, desto mehr umspielte das Wasser ihre Beine, Hüften, und auch ihren Bauch. Als sie saß, lehnte sie sich zurück. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Man hörte nur noch das gurgeln des Wasserhahns, die Bewegungen im Treppenhaus und leise die Nachbarn. Mit geschlossenen Augen tauchte sie ab. Mund und Nase waren noch über dem Wasser, Hals und Ohren darunter, als sie stoppte. Ihr Blick war an die Decke gerichtet. Das schnöde Grau, welches vor ewigen Zeiten einst Weiß gewesen war, bot keinen zufriedenstellenden Anblick.
Durch das Wasser in den Ohren verschwanden alle störenden Nebengeräusche. Keine Nachbarn, kein Treppenhaus, nur Sie und das Wasser. Langsam schloss Sie die Augen. In ihrer Vorstellung war Sie jetzt nicht mehr in der Wanne. Sie trieb in einer Lagune. Zwischen bunten Fischen und Korallen. Die Sonne kitzelte Ihre Nase, die aus dem Wasser schaute. Wenn sie sich ein Stück nach links drehte, konnte sie die Korallen in ihrer vollen Pracht betrachten. Am besten gefiel ihr die Gelbe. Sie war so groß wie ein Fächer und gliederte sich immer feiner je größer sie wurde. Von einem dichten Hauptast, spalteten sich immer kleiner und feiner werdende Nebenäste ab. Gleich daneben war eine Anemone, in der sich ein kleiner Clown-Fisch versteckte. Wenn sie leicht mit den Fingern wackelte kam der kleine Kerl auf sie zu geschwommen. Diesen Trick hatte Sie vor Jahren in einem Buch gelesen.
Etwas zwickte sie am rechten Arm. Sie drehte sich um und sah einen länglichen Fisch mit roten und grünen Streifen. Der kleine Mann dachte wohl, sie wäre das Futter. Schnell griff sie in den Futterbeutel an Ihrem Tauchergürtel. Sie konnte gar nicht so schnell gucken, wie das Futter aus ihrer Hand gezerrt wurde. Jetzt befand sie sich in einem bunten Meer aus hunderten von Fischen. Rot, grün, blau. Alle wollten etwas von dem Futter haben. Die flachen gelben Fische mit den blauen Kleksen auf den Augen waren die Zweitmutigsten. Auch sie knusperten das Futter direkt aus ihrer Hand. Die größeren Schwarzen und die drei großen bunten Fische trauten sich nicht so nah heran. Für sie griff sie nochmals beherzt in den Futterbeutel und holte einen kräftigen Nachschlag heraus. Diesen verteilte sie jetzt grob im Wasser, damit alle Fische sich etwas holen konnten. Die keinen roten schossen wie Pfeile durch die im Wasser schwebenden Brotkrümel. Innerhalb weniger Augenblicke war alles ratz-batz aufgegessen.
Etwas zwickte sie am Fuß. Einmal. Zweimal. Sie schüttelte die Füße um den Fisch los zu werden. Wieder ein Zwicken, diesmal in den großen Zeh. „Mama, was machst du da?“ Sie hörte den Satz nur undeutlich, weil so viel Wasser in Ihrem Ohr war. Sofort riss Sie die Augen auf. Ann war von der Schule zurück. Sie hatte noch gar nicht gekocht. Schon wollte sie Aufspringen, raus aus der Wanne und schnell in die Küche. Sich entschuldigen, wieder etwas vergessen zu haben. Panisch blickte sie zu Ihrer Tochter hinüber. „Nun mach schon Platz, Mama!“, sagte Ann. Ihre Tochter hatte sich bereits ausgezogen und drängelte sich nun in die Wanne. Schnell zog sie die Beine zurück um Ihrer Tochter Platz zu machen. Ann stand mit beiden Beinen in der Wanne und ließ sich fallen. Überall spritze das Wasser herum. Überall im Badezimmer war nun das Wasser verteilt. Nur war keines mehr in der Wanne, jetzt saßen sie in einer jämmerlichen Pfütze. „Oh!“, Ann hatte scheinbar erwartet, dass das Wasser diese Prozedur brav über sich ergehen lassen würde. Das Lachen kam tief aus Ihrem Inneren. Hell, klar und laut, sie lachte und ließ neues Wasser für Ihre Tochter in die Wanne.